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Samstag, 21. Dezember 2024

Kinder- und Jugendliteratur

Die Wesenszüge der Volksmärchen

1. Das Märchen überschreitet die Realitätsgrenze.

Es erzählt von wunderbaren Begebenheiten und Zuständen, die dem Naturgeschehen widersprechen und an sich unglaubwürdig sind. Diesseitige und jenseitige (magische) Welt stehen in dauernder Verbindung.
Trotz dieser Art "Zweiweltenerzählung" ist es undimensional, d.h. beide Welten liegen auf einer Ebene und gehen ineinander über.
(Bsp. Der Held begegnet auf der Straße dem magischen Wesen) Der Märchenhörer vollzieht diesen Wechsel ohne Überaschung mit.

2. Das Märchen hat eine innere Ordnung.

Nicht alles kann geschehen, nur dass, was sich dieser Ordnung einfügt. Vereinfacht formuliert: das Gute siegt, das Böse unterliegt. Eine einfache, ursprüngliche Volksmoral, die dem Gerechtigkeitssinn des Kindes entspricht.

3. Im Märchen sind die Gestalten typisiert.

Die Charaktere sind nicht wandelbar sondern festgelegte Typen. Auf eine ausführliche Beschreibung wird verzichtet. Sie werden in sparsamen Strichen gekennzeichnet ("sie war fromm und gut"). Um so mehr werden sie in der Handlung lebendig und auch hier ist das wichtigste Mittel die Polarisation - der schroffe Gegensatz wird verdeutlicht.
Die Helden der Märchen sind meistens Namenlos. Es ist die Rede vom ältesten Sohn, der Königstochter oder dem kleinen Mädchen. Oder sie werden auf ihre Eigenschaften oder Eigenart hin beschrieben, wie z.B: Dummling, Aschenputtel, Allerleirauh.
Meistens tragen die Figuren Allerweltsnamen wie "Hans" im deutschen Märchen - "Jean" im französischen oder "Iwan" im russischen.

4. Das Volksmärchen ist grausam.

Einteilen kann man hier in:

  1. isolierende Elemente zu Beginn des Märchens:
    Der Held wird ausgesetzt, verstoßen, es besteht eine Mordabsicht o.ä.
  2. prüfende Elemente im Verlauf des Märchens:
    Der Held muß eine Prüfung bestehen.
  3. Heilmachende Elemente zum Ende des Märchens: Die Strafwürdigen werden hart bestraft.

Es ist von vielen Grausamkeiten die Rede. Doch nirgendwo verliert sich das Märchen in einer detaillierten Beschreibung der Grausamkeiten, wie es z.B. in Comics der Fall ist. Es beschreibt keine Wunden und läßt auch kein Blut fließen. Der Gerechtigkeitssinn des Kindes verlangt die Beseitigung des Bösen und die entsprechende Strafe, die heilmachenden Elemente.
Außerdem kann das Kind in bestimmten Grenzen lernen Angst zu ertragen. Natürlich muß der Erwachsene dabei helfen und es ist sehr wichtig eine gewissenhafte Auswahl des passenden Volksmärchens zu treffen.

5. Das Märchen ist in seiner Form einfach und gradlinig .

Es enthält einen klaren Handlungsablauf. Fast immer enthält es eine Kettenhandlung. Im Vergleich zu den Kunstmärchen ist das Volksmärchen handlungsfreudig.
Es ist zeitlos: "Es war einmal" , "In Zeiten als das Wünschen noch geholfen hat" ...
Es enthält keine Ortsangaben, es erzählt z.B. von einem großen Wald, von einem anderen Königreich, von einer kleinen Hütte.
Ein viel gebrauchtes Stilmittel ist die Wiederholung - drei Versuche hat der Held zur Lösung. Oft wird in der Wiederholung der selbe Wortlaut gebraucht und gibt dadurch dem Erzähler und dem Hörer Halt.

6. Das Märchen hat eine tiefe Symbolkraft.

Trotz seiner Einfachheit und Kindlichkeit liegt im Märchen ein tiefer Sinn verborgen.
Im Vergleich von Märchen verschiedenster Völker findet man

  1. Animismus: Der Glaube daran das die Dinge der Natur beseelt sind - Seelenwanderung
    Alle Verwandlungsmärchen sind hier einzugliedern. Menschen verwandeln sich in Tiere und umgekehrt.
  2. Fetischismus: Man glaubt an schützende oder abwehrende Kräfte eines bestimmten Gegenstandes. Wer im Besitz dieses Gegenstandes ist, gewinnt die Kraft über den Menschen dem er gehört, z.B: Die drei goldenen Haare des Teufels, der Name beim "Rumpelstilzchen".

Die Märchendarbietung:

  1. Das Erzählen
    Dies ist die geeigneteste Form! Der Erzähler kann sich auf die Zuhörer einstellen, ein unmittelbarer Kontakt ist möglich. Gerade auch bei aufkommenden Ängsten ist diese Nähe wichtig. Der Zuhörer kann sich beim Erzähler "anlehnen", findet Rückhalt.
    Zur Vorbereitung des Erzählens muss der Erzähler sich das Märchen zu eigen machen - mit ihm vertraut werden, um mit ihm flexibel umgehen zu können. Auswendig lernen allein reicht nicht. Ausdruck, Mimik und Gestik sollte man am besten laut üben.
  2. Das Vorlesen
    Hier gilt die Grundregel: Nie etwas Unbekanntes wählen. Auch hierbei muß sich der Vorleser mit dem Text vertraut gemacht machen. Gelesen wird nicht nach Satzzeichen sondern nach Sinnzusammenhängen. Wichtig sind langsames Lesen und Pausen. Je weniger der Vorlesende am Text "klebt" umso größer ist der Kontakt zu seinen Zuhörern. Auch hier laut üben und vorher in Sinnzusammenhänge einteilen.
  3. Der Tonträger
    CD und Kassette sind aus der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken. Jedoch sollte man auf die Qualität der Darbietung achten und Kinder nicht ganz allein mit neuen Märchen lassen. Wenn der Erwachsene dabei ist, kann das Kind Rückhalt finden. Man kann Pausen einfügen, in denen das Kind sich mit dem Erwachsenen evtl. ängstigende Geschehnisse austauschen kann.

(ab)

 
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Adresse: http://www.erzieherin-online.de/medien/kinderliteratur/theorie/maerchen.php
Letzte inhaltliche Änderung: 07.07.2007

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