Prävention ist bereits im Elementarbereich mehr als nötig, wie in folgendem Artikel nur allzu
erschreckend deutlich wird! Wie gehen Sie, vor Ort und in Ihrer Einrichtung, mit solchen Erfahrungen
um? Gibt es erprobte Projekte, oder Materialien, die Sie uns zur Veröffentlichung nennen möchten?
Beiträge bitte an: rechts@erzieherin-online.de
"Von klein auf gegen Rassismus"
Beitrag zur Tagung "Stärkung von Demokratie und Zivilcourage als Antwort der Jugendhilfe auf
Extremismus und Gewalt" am 07.02.01 des LJA LWL
Projektbegriff: Notwendigkeit und Entwicklung trägerübergreifender Zusammenarbeit
Es (be)trifft jeden...
In einem Ortsteil der Stadt Bad Salzuflen wurde 1999/2000 ein neuer Kindergarten gebaut. Er wurde
deshalb dort gebaut, weil die rechnerische Versorgungsquote bei unter 70% lag und somit ein Bedarf
von ca. 100 zusätzlichen Plätzen bestand.
Bau und Trägerschaft des neuen Kindergartens übernahm die AWO, Bezirksverband Ostwestfalen.
Anmeldungen zum Betriebsbeginn am 1. August konnten in einer benachbarten Einrichtung gemacht
werden. Im Mai 2000 - rund 3 Monate vor der Eröffnung - waren knapp 60 Anmeldungen für die 70
neuen Plätze erfolgt. Zu einem informellen Elternabend für die Familien der angemeldeten Kinder
wurde eingeladen.
An diesem gutbesuchten Elternabend waren etwa die Hälfte der anwesenden Familien ausländischer
Herrkunft, insbesondere aus dem unmittelbaren Einzugsgebiet der Einrichtung. Zum Einzugsgebiet
gehört ein neuerrichteter "Wohnpark" in dem auch heute noch vorwiegend kinderreiche
Migrantenfamilien und Asylbewerber wohnen.
Zum Ende des oben genannten Elternabend ergriff ein Vater das Wort und erklärte, dass es unzumutbar
sei, dass seine deutschen Kinder "mit so einem Pack" gemeinsam einen Kindergarten besuchen
sollten. Daraufhin meldeten am gleichen Abend ebenfalls 8 deutsche Familien ihre Kinder wieder ab,
weitere 10 deutsche Familien in der Folgezeit bis August.
Am 1. August startete die neue Einrichtung dann mit 42 Kindern, davon mehr als 30 Kinder
ausländischer Herkunft. Inzwischen hat sich die Belegung auf mehr als 60 Kinder erhöht, allerdings
davon über 60% nicht-deutscher Nationalität. In der 300 Meter entfernten Nachbareinrichtung - ein
alteingesessener Kindergarten in kirchlicher Trägerschaft - liegt der Anteil ausländischer Kinder
z.Z. um 10%.
Angesichts dieser Situation entstand in der Bevölkerung, aber auch unter Berufskollegen in den
anderen Kindertagesstätten, die Ansicht, dass tatsächlich die neue Einrichtung der AWO für Kinder
deutscher Familien unzumutbar sei, weil eben dort in überwiegenden Mehrzahl ausländische Kinder sind.
Deshalb verzichtet ein grosser Teil der Eltern im Einzugsgebiet auf einen Kindergartenplatz oder
suchte und sucht Plätze in Einrichtungen in anderen Einzugsbereichen im Stadtgebiet. Über die
Situation in der Einrichtung selbst wurde z.B. über das gesamte Stadtgebiet kolportiert, dass die
Spielgeräte im Keller verschlossen werden müssten, da sie sonst von den Migrantenkindern geklaut
würden. Selbst sonst besonnene Fachkräfte trugen solche "Informationen" weiter, obgleich
der neue Kindergarten an keiner Stelle unterkellert ist.
Die Ursache der Misere - die andauernde Unterbelegung der neuen Einrichtung trotz hohem Bedarf
an Kindergartenplätzen im Einzugsgebiet, der Überbelegung der Nachbarschaftseinrichtungen mit z.T.
ellenlangen Wartelisten - liegt also im öffentlichen Bewußtsein an den ausländischen Kindern bzw.
dem Aufnahmeverhaltens des Trägers. Gutgemeinte Ratschläge liefen darauf hinaus z.B. den Anteil
ausländischer Kinder zu quotieren oder doch zumindest eine "rein deutsche" Gruppe
aufzumachen, in der deutsche Eltern ihre deutschen Kinder schicken könnten. Doch der Träger war zu
keinem Zeitpunkt bereit den ausländischen Kindern im Einzugsbereich die Aufnahme aufgrund ihrer
Herkunft zu verweigern.
Inzwischen herrscht ein breites, einvernehmliches "Verständnis" - auch und gerade unter
den Beschäftigten der anderen Tageseinrichtungen für Kinder in Bad Salzuflen - für die Eltern vor,
die es für "unzumutbar" halten ihre Kinder in dem neuen AWO-Kindergarten anzumelden.
Eine der elementaren Vereinfachungen des Rassismus ist, dass der andere gar nicht mehr
differenziert wahrgenommen wird, sondern als eine Kategorie. Das Individuum wird nicht mehr für
sich betrachtet. Rassismus legitimiert als Ideologie einen Ab- und Ausgrenzungsprozess nach äusseren
Merkmalen. Dabei ist es unerheblich, ob sich dieser Prozess in der Forderung nach Beschränkung der
Anzahl von ausländischen Kindern im Kindergarten artikuliert, oder in Form der "Verweigerung"
bzw. des Verzichts auf interkulturelle Vielfalt Ausdruck findet. Der Projektionsmechanismus, der
die eigene Vielfältigkeit schlicht ausblendet und nur auf die Unterschiede zum anderen eingeht,
funktioniert auf vielfältige Weise, aber führt mit erstaunlicher Sicherheit immer zu der
Schlußfolgerung, dass die anderen die Wurzel allen Übels seien.
Deshalb ist als Grundlage der oben kurz geschilderten "Misere" auch nicht der sicher
aktuell überproportional hohe Anteil Kinder ausländischer Herkunft auszumachen, sondern ein latent
vorhandener alltäglicher Rassismus.
Als gesellschaftliches Phänomen wird er erst zurückgehen, je mehr die Menschen einander als
ihresgleichen betrachten und behandeln. Es bedarf dazu vor allem einer Schulung unseres Mitgefühls,
der interkulturellen Fachlichkeit und Kenntnisse; der Solidarität untereinander.
Als öffentlicher Jugendhilfeträger ist es seitens des kommunalen Jugendamtes Aufgabe den
Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für alle Kinder zu gewährleisten und zu sichern. Dabei
ist es selbstverständliche Verpflichtung diesen Anspruch weder nach Herrkunft, Staatsangehörigkeit,
Hautfarbe oder Religion zu beschränken. Auch inhaltlich ist die interkulturelle Öffnung der
Städtischen Tageseinrichtungen für Kinder z.B. in einem Leitbild entsprechend verankert.
Doch zeigt sich an dem Beispiel im geschilderten Versorgungsgebiet - in dem drei Tageseinrichtungen
für Kinder unterschiedlicher Trägerschaft (AWO, Kirche, Stadt) bestehen - dass keine Einrichtung
für sich alleine dieser gesellschaftlichen Verpflichtung gerecht werden kann. Weder ist die
Situation in der neuen AWO-Kindertagesstätte, noch in den beiden anderen Einrichtungen, geeignet, die
notwendige interkulturelle Öffnung und pädagogische Qualität zu gewährleisten.
Hier hat das zuständige Jugendamt nicht nur die Aufgabe, sondern den gesellschaftlichen Auftrag,
ausgleichend - und in der Wirkung anti-rassistisch - tätig zu werden. Der Hebel dazu liegt in
der Organisation tägerübergreifender Zusammenarbeit aller zum Versorgungsgebiet gehörender
Tageseinrichtungen für Kinder. Z.B. die gemeinsamen Abstimmung der Anmeldelisten und des
Aufnahmeverhaltens; oder die Durchführung gemeinsamer Fortbildungen und Projekte, ggf. bis hin zu
ganz praktischen Kooperationsmöglichkeiten wie z.B. eines Einkaufs-Pools oder einer
Bücher(austausch)börse.
Die trägerübergreifende Zusammenarbeit ist bei allen relevanten gesellschaftlichen Aufgaben, wie
der gemeinsamen Bekämpfung von Extremismus, Rassismus und Gewalt, eine notwendige Voraussetzung um
in und mit den Einrichtungen der Jugendhilfe Wirkung zu erzielen. Für Tageseinrichtungen für Kinder
muss diese Zusammenarbeit ein herausgehobenes Qualitätsmerkmal werden - und zwar im Hinblick auf
ihren eigenen pädagogischen Standart und Anspruch.
Eigentlich ergibt sich aus dieser Forderung an die Tageseinrichtungen für Kinder und die Qualität
deren pädagogischen Arbeit schon von selbst auch die Aufforderung an die Träger ihre Kooperation zu
verändern. Ob konfessionelle, kommunale oder freie Träger: die Stärkung von Demokratie und
Zivilcourage - das Thema der heutigen Tagung - betrifft uns immer alle; Extremismus, Rassismus und
Gewalt trifft uns immer alle. Unter Zurückstellung trägerspezifischer Interessen und Eigenarten
können wir diese gesellschaftliche Herausforderung an die gesamte Jugendhilfe nur gemeinsam
bewältigen.
Gerd Detering, Jugendamt Bad Salzuflen
(fo)
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